Montag, 26. Dezember 2011

Weihnachtsgrüße

Herzlichen Dank für alle Weihnachtswünsche!

Gern sende ich diese zurück, verbunden mit den besten Wünschen für das neue Jahr an die derzeitigen Kameraden des Regiments aus allen Ländern.

Angeregt durch die von Peter erzählte makabere Weihnachtsgeschichte, die Adam Utzmann Weihnachten 1943 erlebt hat, kann ich auch etwas aus der Regimentsgeschichte beitragen.
Durch den Erhalt aller seiner Briefe aus dem Krieg und der Gefangenschaft kann sich mein Vater Günter Schröder posthum an unseren Weihnachtsgrüßen beteiligen und uns die damalige Stimmung im Regiment vermitteln.

Weihnachten 1943 in Osaritschi.
 
Vor 68 Jahren zu Weihnachten 1943 liegt das Panzerregiment 35 in Osaritschi.
Günter Schröder schreibt an seine Frau:
Heute haben wir einen kleinen Weihnachtsbaum geputzt. Wir haben gebastelt, geschnitten, gemalt und mit Stanniolpapier geklebt.
Männer werden zur Weihnachtszeit wieder wie Kinder, und das ist schön so. 
Wie wird es sein, wenn wir beide Weihnachten wieder zusammen sind?
Ich werde morgen Abend von Haus zu Haus gehen und den Kameraden schöne Stunden bereiten. 
Du bist in Gedanken auch bei mir, liebe Evelie, denn ich werde Deine Lieder singen, dann bist Du dabei.
Ich denke immer an  Dich meine Evelie,
Dein Günter


 

Diese Weihnachtskarte für 1943, und auch die folgende Neujahrskarte, habe ich aus einer neutralen Feldpostkarte gebastelt. So etwas konnte man in Russland damals nicht am Kiosk kaufen.





Maschinengewehre und Werkzeuge liegen auf dem Tisch.
Es wird gearbeitet. Es ist noch früh und jeder in der Waffen Instandsetzungsstaffel geht seiner Beschäftigung nach.
Der Weihnachtsbaum, den wir gestern geschmückt haben, schaut uns bei der Arbeit zu, als ob er sagen will, dass nur so der Krieg gewonnen werden kann.
Heute ist Heiligabend. Die brennenden Lichter des Weihnachtsbaums spenden ein warmes einheimelndes Licht.
Es ist 17.00 Uhr. Das Radio spielt Weihnachtslieder „Leise rieselt der Schnee“. Die Stimmung der Soldaten im Raum gefällt mir nicht so richtig. 
Alles ist viel zu traurig, jeder hat wohl die gleichen Gedanken. Sie weilen in der Heimat bei ihren Familien. Mit meiner Gitarre und meinem Gesang kann ich helfen, die schweren Gedanken meiner Freunde zu erleichtern. Ich besuche auch die Kameraden in den anderen Quartieren am heiligen Abend und singe mit ihnen zusammen Weihnachtslieder. Wenn ich sie dann nach kurzer Zeit verlasse und in das nächste Haus gehe, sind die Kameraden lockerer. Zum Schluss gehe ich zu meiner Staffel zurück.

Auch hier singen wir gemeinsam. Ich habe Deinen Weihnachtsbrief mitgenommen und diesen vorgelesen. Deine lieben Zeilen gehen in jedes Herz: „Kleine Häuser, sind es die Du suchst und findest. Da siehst Du, es wird ganz klar und deutlich ein kleines Haus. Usw.“
Alle haben Deine Zeilen mit glänzenden Augen aufgenommen.
Ich denke daran, wie ich vor einem Jahr am Heiligen Abend in der Gartenstraße in Erfurt neben Dir stand, wie ein kleiner Junge. Es war einfach zu viel, was bei diesem Fest auf mich einstürmte. Eine so schöne Weihnachtsfeier hatte ich noch nicht erlebt. Jeder Moment steht vor meinen Augen und ich habe die schönsten Gedanken an diese Zeit. Ich weiß auch, dass Du den heutigen Abend nicht für Dich allein hast. Du musst als Fernschreiberin bei der Transportkommandantur auf dem Erfurter Bahnhof arbeiten. Die Muttel sitzt zuhause allein, und auch meine Eltern verbringen einen einsamen traurigen Abend . 
Ich weiß, dass alle die mich gern haben, jetzt an mich denken.
So viele Gedanken stürmen im fernen Russland auf mich ein und lassen mir keine Ruhe. Trotzdem bin ich froh, das Fest der Hoffnung zu feiern.
Der Krieg wird doch sicher bald zu Ende gehen.
Während ich noch grübelte, machten es sich meine Kameraden leichter. Es wurde gefeiert. Schnaps, Kekse und Schokolade standen auf dem Tisch. Man aß und trank. Der Raum war in Zigarettenrauch gehüllt. Ich habe gesungen und Akkordeon gespielt. (siehe Orginalbild oben) Jetzt bin ich fix und fertig. Währenddessen haben sich die Kameraden mit den Flaschen beschäftigt und nun liegen sie wie besinnungslos auf ihrem Lager. Auf diese Weise haben sie ihre Gedanken tot gemacht, oder besser gesagt, ersoffen.


Freitag, 23. Dezember 2011

So fing es an

Günter Schröders militärische Ausbildung in Neuruppin









Mit 19 Jahren wurde mein Vater Günter Schröder am 5. Februar 1941 zur Wehrmacht in die Panzerkaserne nach Neuruppin eingezogen. Hier erfolgte die Grundausbildung und Ausbildung zum Panzerfahrer.
Mit einem Auszug aus meinem Buch „Vorwärts und durch!“, der Titel ist dem Fahnenspruch der ersten Abteilung des Panzerregiments 35 entlehnt, lasse ich meinen Vater selbst erzählen:

Die so genannte Grundausbildung, dauerte etwa drei Monate. Sie war die schwerste Zeit.
Wir mussten marschieren, marschieren, wieder marschieren und noch einmal marschieren.
Wenn man über den Kasernenhof ging, konnte man seine Hand gleich oben an der Mütze lassen. Wir waren der niedrigste Dienstgrad und mussten jeden höheren Diensttang ab Soldat (Schütze) vorschriftsmäßig grüßen, sonst wurden wir unweigerlich zurückgepfiffen. Die Strafen folgten dann auch gleich an Ort und Stelle .
Standardbestrafungen waren: „Robben sie vor, bis zur Laterne! Im Entengang bis zur Straße und zurück! Zehn Liegestütze mit Händeklatschen. Zwanzig Kniebeugen.“, oder was auch immer den Herren Vorgesetzten gerade einfiel. 
Diese standen untereinander in einem ständigen Wettbewerb, wer sich die besten Schikanen ausdenken konnte. Wir hatten keine Möglichkeit, diesen Gemeinheiten zu entkommen. Befehle werden nicht diskutiert! Befehle werden bedingungslos ausgeführt.
Wenn man etwas regelmäßig machen muss, dann gewöhnt man sich an die blödesten Rituale.
Bei der Ausbildung in der Kaserne war es schon immer ein probates Mittel die Rekruten durch viele Arten von Schikanen weich zu kochen um sie hart zu machen. Wir wurden bei jeder Gelegenheit auf jede erdenkliche Art geschliffen. 
Schon am zweiten Morgen bekam ich eine Kostprobe.
Beim Frühstück war ich als Kaffeeholer eingeteilt, das heißt ich musste für die Kameraden meiner Gruppe die beiden Kaffeekannen an der Küchenausgabe füllen und sie in den ersten Stock in den Speisesaal bringen. Auf dem Weg nach oben trug ich in jeder Hand eine volle Kanne, dabei wurde ich von einem dicken Küchen-Unteroffizier mit Absicht angerempelt, so dass ich etwas Kaffee verschüttete.
„Was erloben Se sich, Sie Stockfisch? Kenn Se nicht uffpassen?“, schrie mich der Dicke in reinstem Sächsisch an.
„Hinleechen!“, befahl er dann.
Ich wusste nicht, ob der das ernst meinte.   
Wie sollte ich das machen mit den zwei Kaffeekannen mitten auf der Treppe?
Was hat der gesagt?
Hinlegen?
Warum?
Sieht der denn nicht, dass ich zwei volle Kannen in den Händen habe?
„Hinleechen hab ich gesocht!“, brüllte er jetzt.
Was sollte ich tun? Langsam ließ ich mich auf der Treppe vorsichtig zu Boden gleiten, um keinen heißen Kaffee zu verschütten.
„Schneller! 
Uffn Bauch leechen!“, forderte der Dicke jetzt.
Wie denn?
Das ist nicht leicht, wenn man die Hände voll hat.
Der Dicke hätte das selbst nie geschafft.
Schließlich gelang es mir doch ohne einen Tropfen des köstlichen Muckefuck zu verschütten. Ich lag bäuchlings auf der Treppe und hielt auf die Ellenbogen gestützt die beiden vollen Kannen hoch.
„Robben Sie!“
Auch das noch?
Inzwischen blockierte ich und mit mir viele interessierte Zuschauer die Treppe. Zumindest die neuen Rekruten hatten so ein Kunststück noch nicht gesehen.
Auch ich hatte diese Nummer nie geübt.
„Se solln robben!“, beharrte der Unteroffizier, als ich noch unschlüssig war.
„Des is ä Befeehl!“
Ich kann mir reichlich blöd vor, und meine Zuschauer feixten auch schon und zogen hinter dem Kapo Grimassen. Also:
„Vorwärts und durch!“
So robbte ich mit den beiden vollen heißen Kaffeekannen auf den Ellenbogen von Stufe zu Stufe den Rest der Treppe nach oben.
Die Zuschauer hatten viel Spaß. Wie ich Kaffee kleckernder Weise die Treppe eroberte.
Von meinen Kameraden wurde ich allerdings recht unfreundlich empfangen. Sie bekamen nur noch den Rest des inzwischen kalt gewordenen Kaffees und hatten keine Zeit mehr, diesen zu trinken.
Als ich mit dem Frühstück beginnen wollte kam gerade der Befehl vom UvD: „Dritter Zug Frühstück beenden. Alles auf! In Reihe ohne Tritt Marsch.“
Ich konnte wenigstens noch im Vorbeilaufen zwei Scheiben Brot und ein Stück Wurst ergreifen, sonst hätte ich bis zum Mittag nichts zu essen gehabt.

Axel Schröder